Samstag, 18. September 2010

Wundersame Welt der Wirtschaftswissenschaften 3 - das Lomborg-Dilemma

Stellen Sie sich vor, Ihr Haus brennt. Auf dem Tisch liegt eine Brieftasche mit Geld und Kreditkarten. Außerdem liegt dort ein Ordner mit ihren wichtigsten persönlichen Papieren. Was davon ist jetzt wichtiger? Was werden Sie retten? Wenn Sie anfangen, nachzudenken, heißen Sie vielleicht Björn Lomborg. Die meisten anderen würden sagen, daß sie beides mitnehmen. Lomborg hat die Kunst, Dilemmata zu konstruieren, extrem verfeinert, nur um irgendwie am Ende den Eindruck zu erwecken, daß die Vermeidung des Klimawandels kein wichtiges Problem sei. Neuerdings hat er seine Verwirrungstechnik noch verfeinert und es geschafft, den Eindruck zu erwecken, er halte den Klimawandel nun für ein wichtiges Problem. Dabei vermeidet er es jedoch, irgendetwas zu empfehlen, das geeignet wäre, den Klimawandel aufzuhalten - er ist zwar bereit, mehr Geld für das Problem des Klimawandels auszugeben, aber nach wie vor liegt dabei die Priorität nicht bei der Emissionsminderung.

Schauen wir uns also einmal das Lomborg-Dilemma an.

Im letzten Beitrag hatte ich erklärt, es gäbe noch einen von mir unterschlagenen Grund, einem Menschenleben einen Wert zuzuordnen. Der Grund ist, daß ich nur begrenzte Mittel zur Verfügung habe und gar nicht in der Lage bin, jedes Leben zu retten. Ich muß also mein Geld so einteilen, daß ich mit der begrenzten Summe ein Maximum an Leben rette. Ein Beispiel: ich habe gerade genug Geld, um eine Infektionskrankheit auszurotten. Sollte ich dann besser Tuberkulose ausrotten oder Aids? Die erste Antwort wäre, daß ich mich auf Tuberkulose konzentrieren sollte, weil dadurch mehr Menschen sterben. Die Rechnung könnte aber komplizierter werden. Aidskranke können inzwischen ziemlich lange leben und verbrauchen dann relativ viel medizinische Ressourcen. Vielleicht sind die Gesamtkosten von Aidskranken so hoch, daß es das Budget aller anderen Kranken zu sehr belastet. Dann würden vielleicht bei einer Ausrottung von Aids direkt weniger Menschen gerettet, indirekt aber mehr, weil dann alle anderen Kranken intensiver betreut werden können. Ökonomische Modelle zu Berechnung der Kosten von Krankheiten und dem Aufwand zur Rettung eines Menschenlebens können dafür sorgen, daß Mittel zur Bekämpfung von Krankheiten effektiver einegsetzt werden. Doch leider hängen diese Modelle erheblich davon ab, welche Grundannahmen eingehen, wie vollständig Einflußgrößen berücksichtigt werden und was man eigentlich erreichen will - möglichst viele Menschenleben retten, möglichst viele Lebensjahre retten (was bedeuten würde, daß man jüngere Menschen bevorzugen müßte) oder möglichst viel Lebensqualität erhalten (wobei Schwerstkranke, die man am Leben erhalten, aber nicht mehr heilen könnte, hinten runter fallen).

In einem solchen Zusammenhang sind solche Modelle schon haarig genug. Es wird aber schnell genug absurd, wenn man Risiken und Schäden von ganz unterschiedlichen Kategorien durcheinanderwürfelt, und dann innerhalb eines völlig unzureichenden Budgets miteinander vergleicht. Das ungefähr beschreibt, was der Copenhagen Consensus macht. Dabei betrachte ich die Übung des Copenhagen Consensus 2008, aber die Übung 2004 sieht ähnlich aus. Der Ansatz ist folgender: man lasse verschiedene Arbeitsgruppen aus der Literatur zusammentragen, was man über größere Risiken und Belastungen der Menschheit weiß und bewerte einige Lösungsansätze dazu mit ökonomischen Modellen. Zum Beispiel hat eine Gruppe (Gary Yohe , Richard Tol, Richard Richels, zusammen mit anderen) Schäden durch und Lösungsansätze für den Klimawandel bewertet. Schließlich hat ein Expertengremium von 8 sehr bekannten, sehr alten und zu 50% durch Nobelpreise ausgezeichneten Wirtschaftswissenschaftlern auf Grundlage der Papiere eine Auswahl getroffen, welche Maßnahmen die höchste Priorität bekommen, wenn man Lösungen innerhalb von 4 Jahren sehen will und nur global 75 Milliarden Dollar in diesem Zeitraum aufwenden will. Für globale, wichtige Probleme ist das vergleichbar damit, daß man im Fall eines Brandes vom selben Tisch nur entweder seine Brieftasche oder seine Dokumentenmappe mitnehmen kann, aber nicht beides. Also ein absurdes, völlig unrealistisches Dilemma. Man bedenke etwa, daß selbst die USA selbst damit rechnen, daß sie die militärische Intervention im Irak über 1000 Milliarden Dollar gekostet hat. Für die deutsche Wiedervereinigung sind in den vergangenen 20 Jahren weit mehr als 1000 Milliarden Euro an Transferleistungen geflossen. Für die Bankenkrise in den letzten 2 Jahren sind global mehr als 1000 Milliarden Euro an Subventionen, zusätzlichen Sozialleistungen und  Soforthilfen für Banken und Industrie geflossen. Kurz gesagt, wenn irgendein Problem uns wichtig erscheint, wird auch eine entsprechende Summe dafür aufgewendet werden. Und wenn es mehrere Probleme gleichzeitig gibt, wird notfalls auch diese Summe mehrfach bereitgestellt.

Bei dem Ansatz des Copenhagen Consensus wird ein wildes Sammelsurium bewertet von Terrorismus, Krankheiten, Unterernährung, Kriege und Konflikte, Bildung, Gleichheit, Abwasser und Wasser, Luftverschmutzung und Klimawandel. Und alle diese gar nicht vergleichbaren Probleme aus dem selben Budget heraus von lächerlichen 75 Milliarden Dollar für 4 Jahre. Probleme zumal, die auf verschiedenen Zeitachsen stattfinden. Klimawandel etwa hört ja nicht nach einem bestimmten Zeitraum auf, sondern geht immer weiter, so lange die Treibhausgaskonzentrationen ansteigen. Und das kann sogar dann noch einige Zeit lang geschehen, wenn die Emissionen bereits sinken. Der Gleichgewichtswert des globalen Temperatur wird frühestens nach einigen Jahrzehnten erreicht, selbst wenn die Treibhausgaskonzentrationen bereits stabilisiert sind.

Probleme gibt es aber auch schon vorher, wenn man sich nur das Challenge Paper zum Klimawandel anschaut. Die Szenarien orientieren sich zunächst ganz grob an einem mittleren Szenarium des 4. IPCC-Berichts - im als Business as usual gekennzeichneten Fall steigen die Emissionen immer weiter an und die globale Temperatur übersteigt 3 Grad Zunahme um 2100. Tatsächlich ist das eine sehr optimistische Annahme, weil wir beim Anstieg der Emissionen über dem pessimistischsten Szenario des IPCC liegen. Selbst bei einer Klimasensitivität von 3 Grad je Verdoppelung des CO2-Äquivalents müssen wir bei einem Szenario ohne jegliche Maßnahmen gegen den Klimawandel mit einem globalen Temperaturanstieg deutlich über 3 Grad bis 2100 rechnen. Auch ein Temperaturanstieg von 5 - 6 Grad ist noch innerhalb des 95%-Bereichs aller Projektionen und sollte daher berücksichtigt werden. Wenn die Mittel ausschließlich für die Emissionsminderung eingesetzt werden (zum Beispiel über eine CO2-Steuer), steigen die globalen Emissionen immer noch an. Sie steigen nur deutlich weniger als im Basisszenario. Damit ist der ganze Ansatz sinnlos. Bei anhaltend hohen Emissionsraten ändert sich das Klima bis weit ins nächste Jahrhundert so schnell, daß alle Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel alle paar Jahrzehnte oder gar Jahre schon wieder überholt sind. Damit hat die Arbeitsgruppe bereits festgelegt, daß sie gar nicht zu anwendbaren Ergebnissen kommen kann.

Weiterhin findet die Arbeitsgruppe mit ihrem Modell, daß der Einsatz von Mitteln für die Forschung nach Methoden zum effizienteren Energieeinsatz von Anfang an zu einer geringeren Steigerung der Emissionsraten von CO2 führen würde als eine Konzentration der Mittel nur auf die direkte Minderung der Emissionen. Dieses Ergebnis mag zwar innerhalb des Modells korrekt sein, ist aber absurd. Zum Beispiel braucht Deutschland für eine fast gleiche Wirtschaftsleistung pro Kopf nur halb so viel CO2 zu emittieren wie die USA. Wir erinnern uns daran, daß in dem Modell der Ökonomen die Emissionen global überhaupt nicht sinken. Ich schließe daraus, daß zumindest eine Emissionsminderung der USA um -50%, global von über -12%, wiederum zuzüglich der Emissionsteigerungen von Entwicklungsländern, die ihre Wirtschaftsleistung steigern, möglich wäre, ohne daß neue Technologien entwickelt werden müßten. Anscheinend sind einige der Prämissen in dem ökonomischen Modell entweder unrealistisch oder unvollständig. Ich kann nicht feststellen, wo der Fehler liegt, aber es ist von den Resultaten her offensichtlich, daß ein Fehler vorhanden sein muß. In den ersten Jahren sollten daher genügend Maßnahmen verfügbar sein, Emissionen zu senken, ohne daß man neue Technologien entwickeln muß. Und die Grenzkosten der Emissionsminderungen sollten gering sein oder sogar negativ, denn offensichtlich ist Deutschland trotz um ein vielfaches höherer Kosten auf seine CO2-Emissionen (mittelbar über höhere Steuern auf Energie) sehr wettbewerbsfähig gegenüber den USA. Da ist also etwas faul im Staate Dänemark. Die Annahmen darüber, was Technologien, die man erst entwickeln muß, an Emissionsminderungen bringen und was es kostet, sie zu entwickeln, sind vermutlich mit irgendeiner Logik festgestellt worden und trotzdem letztlich willkürlich und spekulativ.

Ein weiterer Angriffspunkt ist die Abzinsung der Kosten von Schäden in der Zukunft auf die Gegenwart. Diese geschieht mit 5 Prozent in der Gegenwart, marginal abnehmend auf 4 Prozent in der fernen Zukunft. Das sind absurd hohe Abzinsungsraten, völlig sinnlos, da sie mehrere Generationen übergreifen und Schäden bei den einen Ländern mit erforderlichen Kosten für den Klimaschutz bei anderen Ländern verrechnen. Aber einer bestimmten Laufzeit und bei solchen Verteilungen von Verursachern und Geschädigten darf man überhaupt nicht mehr abzinsen. Bei den Schäden fallen zudem der Verlust von Menschenleben und von ideellen Werten wie der Existenz bestimmter Lebensräume unter den Tisch, da unzureichend über Kosten abgebildet. Mit derart im Ansatz falsch bewerteten Lösungsansätzen für den Klimawandel geht man in das willkürliche Sammelsurium von Menschheitsproblemen, um dann innerhalb eines absurd kleinen Budgets eine von Anfang an manipulierte Rangordnung von Lösungen zu präsentieren. Niemand kann es überraschen, daß dann am Ende die Bekämpfung des Klimawandels als eines der geringsten Probleme herauskommt und dann auch noch die Förderung von Forschung für neue Technologien zur Emissionsminderung als einzige Maßnahme zu den 15 wichtigsten Maßnahmen der Menschheit zählt. Eine absurdes Dilemma und ein fehlerhafter Lösungsweg können nur zu einem absurden Ergebnis führen.

1 Kommentar:

Ebel hat gesagt…

Man sollte sich mal die Arbeitszeitentwicklung ansehen. Zwar reden die Ökonomen meistens von den Kosten - aber es ist kein Problem die Kosten aufzubringen durch entsprechende Vergrößerung (bzw. geringere Verringerung) der Arbeitszeit.

Die Kostenrechnung hat nur Sinn, wenn man eine Veränderung der Arbeitszeit unberücksichtigt läßt - weil dann eine Erhöhung von Kosten eine Verringerung anderer Projekte verlangt.

Man betrachte nur mal die Entwicklung der Arbeitszeiten in der Vorbereitung und Durchführung des II. Weltkrieges. Begrenzung der Ausweitung war nur die Arbeitsfähigkeit - und heute ist man von dieser Grenze noch weiter entfernt.

MfG