Mittwoch, 1. April 2009

Welcher globale Temperaturanstieg würde Lindzen eigentlich widerlegen?

Es ist relativ einfach, konkrete Aussagen der Wissenschaft zu den möglichen Auswirkungen weiter steigender Emissionen von Treibhausgasen zu finden. Die IPCC-Berichte, aber auch andere Publikationen machen spezifische Aussagen. Das heißt auch, daß man ständig sehen kann, wie gut diese Aussagen zutreffen. Ich habe bereits auf solche Verifizierungen hingewiesen.

Sehr schwierig ist es hingegen, von Seiten der Leugner und Skeptiker Aussagen zu finden, bei denen man untersuchen könnte, ob diese eingetroffen sind. Man trifft immer zumeist auf Erklärungen der Art, warum die Beobachtungen der Vergangenheit gerade die wissenschaftliche Sicht des Klimawandels nicht bestätigen, sondern hohe natürliche Variabilität, den Einfluß der Sonne oder kosmischer galaktischer Strahlung bestätigen, während Treibhausgase keinen oder nur einen geringen Einfluß gehabt hätten.

Unter den widersprüchlichen Aussagen findet man solche, daß eine globale Abkühlung bevorstünde (ab wann, für wie lange, wie stark?) oder daß die globale Erwärmung nur geringfügig sei (wie viel ist „geringfügig“?). Zwar ist schon jetzt die globale Klimaentwicklung ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die noch in den achtziger Jahren meinten, daß Hinweise auf eine starke globale Erwärmung bestenfalls übertrieben wären. Aber Aussagen wurden immer so vage gemacht, daß die gleichen Leute, die 0,1 bis 0,2 Grad Temperaturanomalie Ende der achtziger Jahre nicht als nennenswerte globale Erwärmung ansahen, dies auch über 0,4-0,5 Grad nach 2000 behaupten konnten. Halbwegs fündig wurde ich bisher nur bei Richard Lindzen, der von manchen immer noch nicht zu den Leugnern, sondern den Skeptikern gezählt wird und der tatsächlich Fachpublikationen zur Klimaforschung vorweisen kann. In Fachpublikationen gibt Lindzen allerdings keine Zahl für die globale Erwärmung bis 2100 an, sondern versucht nur, alle Hinweise zu sammeln, die auf negative Rückkopplungen mit der globalen Temperatur zur Dämpfung von Klimaänderungen hinweisen. Lindzen glaubt, daß es negative Rückkopplungen im Klimasystem gibt, die die globale Temperatur stabilisieren.

Die Quelle für das folgende ist "THE HEAT IS ON:The warming of the world's climate sparks a blaze of denial" von Ross Gelbspan im HARPER'S MAGAZINE/December, 1995.

Im Mai 1995 gab es im amerikanischen Bundesstaat Minnesota eine Anhörung dazu, ob der Staat weitere Kohlekraftwerke zulassen sollte. Bezahlte Experten für die Seite der Energieversorger waren dabei Richard Lindzen, Patrick Michaels und Balling, die Stellungnahmen über die Folgen weiterer CO2-Emissionen abgaben. Lindzen erklärte, bis 2100 würde die globale Temperatur bei einer Verdopplung der CO2-Mischungsverhältnisse um 0,3 Grad steigen. (Dieses Temperaturziel hat er kürzlich wieder in einem Beitrag zum Klimawandelleugnerblog Wattsupwiththis.com bekräftigt, in dem er Satellitenmessungen für niedere Breiten der Erde irrtümlich für ein globales Strahlungsbudget mißbraucht.) Die globale Temperaturanomalie war laut dem Hadley Centre 1994 0,16 Grad, in den letzten 5 Jahren bis 1994 im Mittel 0,15 Grad und über die letzten 10 Jahre bis 1994 0,12 Grad. 1998 und 2005 lag die globale Temperatur bereits jeweils um mehr als 0,3 Grad über dem Wert von 1994. Die mittlere Anomalie der letzten 5 Jahre bis 2008 ist mit 0,41 0,26 Grad über dem letzten 5-Jahresmittel, auf das Lindzen sich beziehen konnte, die mittlere Anomalie der letzten 10 Jahre liegt bei 0,39 und ist 0,27 Grad über dem letzten Dekadenmittel, auf das sich Lindzen beziehen konnte. Nach allen Gradmessern haben wir also bereits fast das Niveau erreicht, das Lindzen für 2100 bei einer Verdopplung des CO2-Mischungsverhältnisses vorhergesehen hat.

Man kann berücksichtigen, daß diese Verdopplung des CO2-Mischungsverhältnisses noch nicht stattgefunden hat. Die Strahlungswirkung der Treibhausgase wächst etwa logarithmisch mit ihrem Anstieg, und nach einem Anstieg von 40% ist bereits die Hälfte des Klimaeffektes erreicht, der bei einer Verdopplung eintritt. Das CO2-Mischungsverhältnis ist seit vorindustriellen Zeiten von 280 ppm um 40% auf grob gerundet 390 ppm angestiegen. Die Temperaturänderung sollte daher bisher 0,15 Grad von den angenommenen 0,3 Grad für eine Verdopplung von CO2 betragen, die globale Temperaturanomalie sollte also bei ca. 0,3 Grad liegen. Von den letzten 8 Jahren lagen 8 darüber, selbst das von einem La Nina beeinflusste Jahr 2008 ist bereits oberhalb der Lindzen-Marke. Seit 8 Jahren liegt Lindzen konsistent falsch, ohne dies zuzugeben.

Was könnte ihn dazu bewegen, sich nicht widerlegt zu fühlen? Das 20. Jahrhundert zeigte einige Varianz. Die globale Temperatur lief in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um 0,3 Grad hoch, ohne daß hier der Mensch einen signifikanten Einfluß genommen haben konnte. Die Frage ist daher, ab welchem Niveau muß man Lindzens 0,3 Grad rechnen? Doch wohl addiert zu einer natürlichen Variation, zu der Lindzen sich nicht konkret äußert. Genau solche Immunisierungen von Aussagen machen aber Pseudowissenschaft aus – Glaubensaussagen, die sich als Wissenschaft verkleiden, aber ihre Widerlegung mit konkreten Daten nicht zulassen.
Tatsächlich gibt es keinen Anlaß dazu zu glauben, daß die Temperaturentwicklung zwischen 1900 und 1994 ausschließlich durch natürliche Variabilität erzeugt wurde.

Schon der Begriff der natürlichen Variabilität ist irreführend. Solche Änderungen der Temperatur durch die Umverteilung von Wärmen zwischen verschiedenen gekoppelten Teilen der Erde (Ozeangebiete und -schichten plus die Atmosphäre) nehmen wir etwa als ENSO wahr mit warmen El Nino- und kalten La Nina-Jahren. Diese und andere Schwankungen der globalen Temperatur mitteln sich aber über lange Zeiträume weitgehend heraus. Von Jahr zu Jahr können Unterschiede von 0,2 oder gar 0,3 Grad auftreten. Betrachten wir aber 10, 20 oder 30-Jahresmittel, werden diese Schwankungen zum größeren Teil weggemittelt. Es bleiben Klimaänderungen, die zwangsläufig auch eine Ursache haben müssen. Dazu gehören Änderungen der solaren Einstrahlung und die Häufung oder Abwesenheit von Vulkanausbrüchen. Mit solchen externen Antrieben kann man das Klimageschehen bis 1950 erklären. Das 19. Jahrhundert war aufgrund von einer Häufung von Vulkanausbrüchen eher kühl, und die solare Einstrahlung stieg bis ca. 1950 tendenziell an (nach anderen Rekonstruktionen blieb sie praktisch unverändert). Genauer gesagt, im Jahrzehnt 1901-1910 war die mittlere Temperaturanomalie nach HadCruT -0,43, 1951-1960 -0,15 Grad, Differenz 0,28 Grad. Danach aber gibt es Probleme: die solare Einstrahlung geht zurück, aber die Temperatur steigt erneut von einem bereits hohen Stand 0,28 Grad über der Temperatur nach der Jahrhundertwende. Von den mindestens 0,3 Grad zwischen den fünfziger Jahren und 1994 dürfte der größere Teil von dem Anstieg der Treibhausgase herrühren. Berücksichtigt man einen Rückgang des solaren Beitrags zur Temperatur, sind auch 0,4 oder 0,5 Grad als menschengemachte Erwärmung seit den fünfziger Jahren bis 1994 realistisch. Als Lindzen 1994 also davon sprach, daß die menschengemachte Erwärmung bei einer Verdopplung des CO2-Mischungsverhältnisses 0,3 Grad betragen sollte, war das Kontingent bereits aufgebraucht. Jede weitere Erwärmung nach 1994 widerlegt Lindzens Behauptung. Und das sind für die ersten 8 Jahre des 21. Jahrhunderts bereits 0,26 Grad.

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