Dienstag, 24. März 2009

Der Wärmeinseleffekt – neue Arbeiten dazu

Wenn man sich den Wärmeinseleffekt genauer anschauen will, um zu verstehen, wie stark er sich auf klimatologische Zeitreihen auswirken kann, sollte man wissen, wohin man schauen möchte. Wetterstationen in gewachsenen Stadtgebieten werden wohl eher nicht mehr davon betroffen sein, denn die Entwicklung der Wärmeinsel um die Station liegt in der fernen Vergangenheit. Europa beispielsweise bietet nur eine kleine Auswahl von Stationen, an denen man deutliche Effekte sehen könnte. In Schwellenländern kann man hingegen erwarten, daß gerade in den letzten Jahrzehnten oder Jahren große Stadtgebiete gewachsen sind, die deutliche Temperatureffekte bewirkt haben können. Was also liegt näher, als sich die Volksrepublik China herauszugreifen. Es gibt zwei Publikationen aus 2008, die sich damit beschäftigen.

Die eine ist: Jones, P.D., Lister, D.H. und Li, Q.: Urbanization effects in large-scale temperature records, with an emphasis on China, JOURNAL OF GEOPHYSICAL RESEARCH, VOL. 113, D16122, doi:10.1029/2008JD009916, 2008.


Hier wurde tatsächlich untersucht, wie groß denn der Wärmeinseleffekt in ausgewählten Städten sein kann (z.B. über eine Verteilung der Differenzen der Temperaturen an Stadtstationen zu einer Station im Umland für verschiedene Jahreszeiten von 1961 bis 2006). Dabei fanden die Autoren, daß in London in Wetterstationen im Stadtgebiet eine Erwärmung gegenüber dem Umland von 1,5 Grad zu sehen ist, in Wien immerhin von 0,3 Grad. In beiden Fällen liegt diese Erwärmung aber so weit zurück in den Daten, daß es ohne Bedeutung für die globale Erwärmung seit 1961 ist. Die Temepraturanomalien (gemessene Temperatur minus dem Mittelwert an dieser Stelle von 1961-1990) laufen bei städtischen und ländlichen Stationen ohne sichtbaren Unterschied. Eine solche Analyse müßte man natürlich separat für jede andere Station machen, bei der man einen Wärmeinseleffekt vermutet, wie die Autoren erklären.

Die Autoren haben sich aber auch angeschaut, wie sich der Effekt auf Stationen in China auswirkt. Das ist natürlich nicht die erste Arbeit zu dem Thema – im Artikel werden 7 andere Untersuchungen zum Wärmeinseleffekt in China zitiert, in denen bereits gefunden wurde, daß sich die städtischen Stationen stärker erwärmen als solche im Umland. In China kann man also schauen, wie sich Wärmeinseleffekte auf Temperaturdaten auswirken, die immerhin eine größere Landfläche charakterisieren.

Bevor man die Temperaturdaten benutzt, muß man Effekte wie zum Beispiel eine Verlagerung der Meßstation herausrechnen, um alle Daten vergleichbar zu machen. Die Autoren erläutern nun, daß diese Homogenisierung insgesamt auf die Erwärmung in den Daten keinen Effekt hat. Die verschiedenen Korrekturen in die eine oder andere Richtungen für verschiedene Stationen mitteln sich für alle Stationen fast raus. Vergleiche der homogenisierten Daten ergaben dann, daß die Ergebnisse kaum davon beeinflusst werden, ob man über eine größere Zahl von Zeitreihen verschiedener Meßstationen mittelt oder nach einem gängigen Verfahren ein Gebietsmittel für China aus den gemessenen Temperaturdaten errechnet.

Nun erhob sich die Frage, mit was man die Stationsdaten aus China vergleichen sollte, um den Wärmeinseleffekt zu beobachten. Eine Möglichkeit wäre, ländliche Stationen ohne einen Wärmeinseleffekt heranzuziehen. Leider gibt es in China nur wenige Stationen, die ausdrücklich für diesen Zweck vorgehalten werden. Man kann jedoch stattdessen die Temperaturzeitreihen der chinesischen Landstationen mit der der Meeresoberfläche vor China vergleichen. Hier gibt es ganz sicher keinen Einfluß durch eine wachsende Besiedlung. Leider ist diese Referenz aber auch sonst sehr verschieden vom Land. Das Meer erwärmt sich deutlich anders als Landflächen, schwächer und auch später, durch die große Wärmekapazität des Meeres.

Trotz dieser Schwäche, die den Wärmeinseleffekt vielleicht zu groß darstellen könnte, verglichen die Autoren die Landtemperaturen mit den Meeresoberflächentemperaturen des HadSST-Datensatzes des Hadley Centres. Dabei stellten sie fest, daß die Landtemperaturen sich eher sprunghaft gegenüber dem Meer in den 70er Jahren erhöhten. Dessen ungeachtet, erhielten sie über den gesamten Zeitraum einen Wärmeinseleffekt von 0,11 Grad je Jahrzehnt (bis runter zu 0,08 Grad je Jahrzehnt für verschiedene Jahreszeiten) und schlossen daraus, daß der Wärmeinseleffekt für China im Mittel 0,1 Grad je Jahrzehnt ausmachen sollte. Da die chinesische Landfläche sich über diesen Zeitraum um 0,25 Grad je Jahrzehnt bzw. 1981-2004 um 0,57 Grad je Jahrzehnt erwärmte, ist also 60% der Erwärmung für diesen Zeitraum und 82% der Erwärmung von 1981-2004 in China durch die globale Erwärmung bedingt – der Rest ist der Wärmeinseleffekt.

Eine chinesische Arbeitsgruppe hat sich des gleichen Problems angenommen, allerdings die Jahre 1961 – 2000 betrachtet. Ren, G., Chu, Z., Zhou, J., Zhou, Y., Zhang, A., Guo, J., Liu, X., Urbanization Effects on Observed Surface Air Temperature Trends in North China, Journal of Climate, 21, 1333-1348 (2008) (DOI: 10.1175/2007JCLI1348.1) haben sich 282 Stationen in China vorgenommen und sie in städtische (klein, mittel, groß und Metropolis) und ländliche Stationen aufgeteilt. Für jede der Gruppen wird die mittlere Erwärmung gegenüber dem ländlichen Datensatz festgestellt, die von 0,16 Grad je Jahrzehnt bei den großen Städten bis zu 0,07 Grad bei den kleinen Städten reicht. Auch für die nationalen Referenzstationen für Klimaanalysen wird im Mittel ein Wärmeinseleffekt von 0,11 Grad je Jahrzehnt festgestellt. Daraus resultiert in diesem Datensatz, daß 38% der Erwärmung vom Wärmeinseleffekt verursacht wurden bzw. 62% das klimatische Erwärmungssignal darstellen. Das entspricht, wenn man den anderen Zeitraum berücksichtigt, den Ergebnissen von Jones et al.


Was bedeutet das global? Ich mache hier mal eine Milchmädchenrechnung auf. Man muß berücksichtigen, daß nur Teile der Landmasse den Wärmeinseleffekt zeigen können, und in China wirkt er sich vergleichsweise stark aus. In Europa wird man hingegen in vielen Regionen keinen Wärmeinseleffekt mehr beobachten können. Und die Meere, weit mehr als 2/3 der Erdoberfläche, fallen ganz heraus. Nehmen wir mal an, die Hälfte der Landdaten wäre mit einem Wärmeinseleffekt von 0,1 Grad je Jahrzehnt kontaminiert, hätten wir 0,015 Grad je Jahrzehnt zu berücksichtigen oder 0,15 Grad für das gesamte Jahrhundert. Diese Zahl ist allerdings ganz sicher falsch, denn ich habe hier willkürliche Annahmen gemacht. Wir suchen aber einen Effekt, der höchstens so groß sein kann, vermutlich aber deutlich kleiner ist.

Daß der Effekt wahrscheinlich kleiner ist, ergibt sich nämlich nicht nur daraus, daß man bei vielen europäischen Stationen vermutlich ähnlich wie in London oder Wien keinen Wärmeinseleffekt in den Temperaturanomalien sehen wird, sondern auch, wenn man einen Blick auf die Daten aus den USA wirft, einer weiteren großen Region, für die man eigentlich annehmen würde, daß der Effekt hier eine Rolle spielen könnte.

2008 erschien ein Bericht zum US Historical Climatology Network (USHCN) über ihre monatlichen Temperatur- und Niederschlagsdaten, der dann zu einer Publikation von Williams, C.N., Menne, M.J., und Palecki, M.A. im Journal of Geophysical Research 2010 führte, in dem dargestellt wurde, welche Korrekturen an diesen Daten vorgenommen werden. Der USHCN-Datensatz wird verwendet, um den Klimawandel in den USA zu beobachten. Die wichtigsten Korrekturen sind:
  • Beobachtungszeit: wenn sich die Beobachtungszeit verändert, verändern sich auch Tages- und Monatsmittel, weil es einen Tagesgang der Temperatur gibt. Wenn ich bei den Beobachtungen von Mitternacht auf 2 Uhr morgens gehe, werde ich in der Tendenz kältere Ablesungen haben und müsste demnach die Tages- oder Monatsmittel nach oben korrigieren.

  • Art des Thermometers: verschiedene Temperaturmeßsysteme zeigen gegeneinander eine systematische Abweichung. Für die kann korrigiert werden.

  • Stationshistorie: werden Stationen z.B. verlagert, ergibt sich eine ständige Abweichung, für die korrigiert werden kann.

  • Fehlende Daten: die müssen mit Hilfe der Zeitreihen anderer Stationen ergänzt werden.

  • Wärmeinseleffekt: auch hier ergibt ein Vergleich mit unbeeinflußten Stationen eine Korrektur.

In der Arbeit sieht man sehr schön in einer Graphik die relativen Effekte der Korrekturen.
Die verschiedenen Farben stellen die Größe der jeweiligen Korrekturen an den Daten dar. Die violette abfallende Linie ist die Korrektur für den Wärmeinseleffekt. Für die volle Größe das Bild bitte anklicken.

Danach dominieren die Korrekturen der Beobachtungszeit und der Stationshistorie, die beide eine Erwärmung der Rohdaten erfordern. Der Wärmeinseleffekt kommt dann der Größe nach auf den dritten Platz und erreicht über das gesamte 20. Jahrhundert etwa 0,05 Grad Celsius bzw. 0,005 Grad je Jahrzehnt, ein Drittel meiner oberen Grenze aus der Milchmädchenrechnung.

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