Sonntag, 7. September 2008

Wann uns das Wasser bis zum Hals steht…

Globale Erwärmung hat viele Auswirkungen: auf das Wetter, auf die Verbreitung von Tieren und Pflanzen oder die Verfügbarkeit von Wasser. Aber das erste, woran man beim Klimawandel denkt, ist der Anstieg des Meeresspiegels. Gerade diese Folgewirkung gilt aber als besonders schwer vorherzusagen. Eine lineare Beziehung zwischen Temperatur und Meeresspiegelanstieg herzustellen ist illusorisch, wie in einem Artikel von von Storch auf Basis von Modellrechnungen dargelegt wird (Link zur Zusammenfassung und zum (kostenpflichtigen) Artikel), weil die verfügbaren Datenreihen dazu zu kurz sind und aus Zeitreihen von maximal 120 Jahren Beziehungen hergeleitet werden können, aus denen sowohl eine Meeresspiegelanstieg als auch Abfall bei einem Temperaturanstieg resultiert.

Zwar nicht deswegen, aber doch mit Wissen um die vielen Probleme ist der jüngste IPCC Bericht gerade beim Thema Meeresspiegelanstieg besonders zurückhaltend. Man kann zwar recht gut berechnen, wie der Meeresspiegel aufgrund der thermischen Ausdehnung des Meerwassers durch seine Erwärmung ansteigt. Auch für den Zufluß von den Kontinenten aus Gletschern und Niederschlagsabfluß sind Vorhersagen möglich. Der relative Verlust oder Gewinn durch Verdunstung und Niederschlag auf den Ozeanen und durch Sublimation und Abtauen sowie Niederschlag in der Antarktis und auf Grönland kann auch abgeschätzt werden. Diese Größen zusammen führen zu den Schätzungen im Bereich von 18 bis 59 cm bis ca. 2095 über den Wert von ca. 1990 (entsprechend 20 bis 65 cm Anstieg bis 2100) und einen weiteren Anstieg danach (gerundet aus dem IPCC Bericht von 2007). Doch die eigentlich wichtige Größe wollte man 2007 gar nicht erst in die Schätzung mit aufnehmen, nämlich den Meeresspiegelanstieg durch das Abrutschen des polaren Festlandeises in Grönland und der Antarktis in die Ozeane bzw. das Aufschwimmen des westantarktischen Festlandeises auf dem Meerwasser (weil hier das Festland überwiegend unter dem Meeresniveau liegt). Zwar findet man im 4. Assessment Report der Arbeitsgruppe 1 im Kapitel 10 Erläuterungen, nach denen im Laufe des 21. Jahrhunderts ein Temperaturniveau erreicht würde, bei dem das Grönlandeis nicht mehr auf Dauer bestehen bleiben würde, was allein bereits zu einem Meeresspiegelanstieg von 7 Metern führt. Die Zeitskala für dieses Abschmelzen sah man in dem Bericht aber bei Jahrhunderten – immerhin eine Größenordnung von 1 Meter Anstieg des Meeresspiegels pro Jahrhundert, natürlich nicht mit konstanter Geschwindigkeit in diesem Zeitraum. Seitdem aber lassen das weitere Beobachtungen und Schätzungen als zu konservativ erscheinen. Zudem stecken erkennbar Unsicherheiten in den Abschätzungen, weil die Summe aller Schätzterme im IPCC-Bericht immer noch einen geringeren Meeresspiegelanstieg ergeben, als er bisher beobachtet wurde.

Der Meeresspiegelanstieg durch das polare Festlandeis ist so schwierig zu erfassen, weil man dabei die Dynamik großer Eiskörper abschätzen muß. Die entscheidende Größe ist nicht etwa, wie viel Eis abschmilzt bzw. durch Niederschläge wieder gewonnen wird, sondern langfristig, ob und wie schnell der Eiskörper sich ins Meer bewegt. Wenn ein Gletscher auf einer geneigten Fläche aufliegt, gleitet er mit einer gewissen Geschwindigkeit talwärts bzw. ins Meer. Diese Bewegung wird durch Reibung gebremst. Schmilzt etwas Wasser auf dem Eiskörper und sickert zum Boden durch, wirkt das wie ein Schmiermittel. Außerdem kann solches Sickerwasser auch dafür sorgen, daß die Gletschermasse in Teile bricht. Die Teile haben relativ weniger Auflagefläche und somit Reibung und bewegen sich schneller. Meereisgebiete vor dem Gletscherausgang am Meer können auch die Bewegung des Eises bremsen. Bricht diese Meereisfläche auf, kann der Gletscher schneller rutschen. Diese ganzen Vorgänge sind so kompliziert vorherzusagen, daß sich die damit befaßten Glaziologen ungern mit Prognosen aus dem Fenster lehnen.

Trotzdem hatten sich einige an das Thema herangewagt. Rahmstorf etwa hatte sich auf der Basis einer Korrelation zwischen Meeresspiegelanstieg und Temperatur an die Prognose gewagt, daß ein Meeresspiegelanstieg um 0,5 bis 1,4 Meter bis 2100 möglich sei. Dieser Beitrag wurde mit dem Papier von von Storch und Mitarbeitern oben zurückgewiesen. (Die begleitende Pressemitteilung dabei war im Tonfall unnötigerweise wenig kollegial und geriet dadurch manchen Leuten in den falschen Hals, die das Papier dahingehend mißverstanden, daß von Storch et al. Arbeit insgesamt widerlege, daß ein Temperaturanstieg automatisch zu einem Meeresspiegelanstieg führe. Das war aber gar nicht gemeint in dem Beitrag, der sich nur darauf bezog, ob man angesichts des Gedächtnisses des arktischen Eises für frühere Temperaturen mit nur 120 Jahren an Daten bereits zu brauchbaren Korrelationen komme.)

Einiges Rauschen im Blätterwald der Medien verursachte eine Arbeit von Pfeffer, Harper und O'Neel. In dieser Arbeit untersuchte man, wie stark eigentlich die Bewegung von Gletschern auf Grönland und in der Westantarktis innerhalb physikalisch sinnvoller Grenzen anwachsen könnte, um so eine obere Grenze des dadurch verursachten Meeresspiegelanstieges zu finden. Der schnellste Gletscher ist der von Jakobshaven in Grönland mit fast 9 km pro Jahr, und man bräuchte eine Verdreifachung der Gletschergeschwindigkeiten ab dem Jahr 2010, um zu mehr als 2 Meter Meeresspiegelanstieg bis 2100 zu kommen. Das Ergebnis liegt also bei etwa 2 Metern maximal bis 2100, aber 80 cm sei nach Meinung der Autoren der plausibelste Wert. Das liegt im Bereich der Schätzungen von Rahmstorf und natürlich deutlich über den Werten aus den IPCC-Szenarios, selbst noch über dem ungünstigsten Szenario.

Eine weitere aktuelle Schätzung findet man in einem Bericht der (neuen) Deltakommission in den Niederlanden, die abschätzen muß, wie hoch zukünftig die Deiche in Holland zu bauen sind. Hier findet man den Link zu dem Bericht (auf niederländisch), der im übrigen Gesamtkosten von 90 bis 135 Milliarden Euro für das (nicht nur durch den Klimawandel) erforderliche Deichprogramm ansetzt. Auf Seite 111 findet man die Schätzungen für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels, der mit 55 cm bis 1,10 Meter angesetzt wird. Bis zur Hälfte des Anstiegs kommt aus Grönland und der Antarktis. Aufgrund der hohen Investitionen in das Deichbauprogramm besteht hier ein deutliches Interesse, realistische Abschätzungen zu bekommen.


Was aber bedeutet nun eigentlich ein Anstieg des Meeresspiegels um z.B. 80 cm innerhalb von 90 Jahren? Es bedeutet nicht, daß man um den entsprechenden Betrag die Küstenlinien verschieben muß. Es ist eine reine Kostenfrage, ob man mit Deichen die alte Küstenlinie erhält oder nicht. Für die Niederlande ist es z.B. keine Frage, daß man die Deiche entsprechend erhöhen wird, auch wenn dieses um die 100 Milliarden Euro kostet. Damit läßt sich das Abtauchen der Niederlande noch 200 oder 300 Jahre aufhalten, bis die Deichhöhe irgendwann einfach an technische Grenzen stößt. Ganz anders sieht es für ein Land wie Bangladesh aus, wo ein entsprechendes Deichbauprogramm bis zu 10% des Bruttoinlandprodukts verschlingen würde. Das ist einfach nicht finanzierbar. Doch es noch komplizierter. Der Verlust an nutzbarem Land bemißt sich nicht danach, was im Meer versinkt. Es hängt vielmehr daran, wo das Meerwasser das vorhandene Grundwasser hochdrückt. Diese Auswirkungen können sehr viel weiter landeinwärts zu einer unerwarteten Versalzung von Böden führen, die dann für den Ackerbau ausfallen. Die zweite Frage ist, wie viel Land bei Hurricans oder Orkanen und Springfluten dem Risiko einer Überschwemmung ausgesetzt ist, weil man Deiche zumeist nicht darauf auslegt, eine „Jahrtausendflut“ abzuhalten. Diese Überflutungshöhe bei Extremereignissen steigt nicht linear mit dem Anstieg des Meeresspiegels, sondern hängt davon ab, wie steil die Küste vor dem Deich ist. Wenn nicht noch Marschland, sondern nur direkt der Deich zu bewältigen ist, stürmt die Sturmflut ungedämpfter auf das Land. Zugleich nimmt die Zahl der extremen Sturmereignisse bei einer globalen Erwärmung vermutlich zu. Und je mehr Land einzudeichen ist, desto größer ist die Schadenssumme, wenn bei Extremereignissen der Deich dann doch nicht hält. Man muß auch berücksichtigen, wie viel natürlicher Lebensraum verloren geht, etwa Wattland, Marschen und Mangrovenwälder, die nach und nach im Meer versinken, während andererseits Eindeichungen verhindern, daß Ersatz dafür weiter im Inland entstehen kann. Dadurch gehen z.B. die Kinderstuben mancher Fischarten zugrunde, die dann auf den Tellern vieler Menschen fehlen. Nicht zuletzt verschwinden damit auch viele natürliche Strände, was z.B. für einige Urlaubsländer zum Problem werden kann.

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